Frank Gehry Edgemar Project Santa Monica Bauwelt 1989 15. October 1989

Von den kargen Anfängen als Pioniernest bis hin zu der immateriellen Surrealität der heutigen Megapolis scheint das Leben im Mythos des Sonnenparadieses Los Angeles nicht immer so sonnig-einfach zu sein, wie es an der Oberfläche dargestellt wird. Gerade deswegen hat die pulsierende Metropole Los Angeles wiederholt dynamische Kunst- und Architekturpositionen nicht nur hervorgebracht, sondern sie geradezu herausgefordert...

Ebenfalls bezeichnend für das paradoxe Wesen der Stadt ist die ironische Tatsache, daß die an die Tradition gebundene Postmoderne in Los Angeles nicht nur ihre philosophischen Wurzeln (z.B. bei Moore und Jencks) hat, sondern sich hier und von hier aus am überzeugendsten entwickeln konnte. In Los Angeles, in einer Stadt ohne jegliche herkömmliche Tradition, außer dem eklektischen Spanish Colonial des frühen 20. Jahrhunderts, wird klar, daß die Postmoderne wohl weniger die Wiederentdeckung der traditionsreichen Architekturgeschichte benötigte, als vielmehr die Künstlichkeit und immaterielle Pseudorealität der Wildwest Schaufassaden an der Main Street von Paramount Studios und Disneyland.

Die Medienhauptstadt der Welt basiert tatsächlich wie kaum eine andere Stadt auf Künstlichkeit. Sie erinnert immer wieder an die surrealistische Atmosphäre einer Filmarchitekturstadt. So betrachtet gründet der Ortsbegriff Los Angeles weniger auf den herkömmlichen Ortsverständnis als auf den improvisierter Drehorte. Orte, die spontan je nach Massengeschmack und Medienwille ihre Funktion ändern, in einer zunehmend von wechselnden Bildern abhängigen Kultur, deren Realität ständig der jeweiligen Marktlage angepaßt wird.

Während Charles Moores frühe Post-moderne sich hervorragend auf die künstliche Inszenierung der Bühnenarchitektur verstand, geht Frank Gehry von einem tieferen Verständnis des Phänomens Los Angeles aus. Gehrys Erfolg und Botschaft liegen darin, daß er die oberflächliche Künstlichkeit von Los Angeles' Genius loci für sich aufbereitet und in seiner Arbeit zu einer Poesie, einem Lobgesang auf die Künstlichkeit entwickelt hat.

Das Verbindende an Gehrys Arbeiten ist sowohl seine Behandlung von Orten als bühnenartige Szenerien, die projektspezifisch formuliert werden, als auch seine scheinbar improvisierte Verwendung von alltäglich-billigen Materialien in immer neuen Collagen. In einer Kultur, wo Aussehen zunehmend wichtiger eingestuft wird als Inhalt, scheinen viele Bauten aus kaum mehr als elitärer Außenhaut zu bestehen. Gehry kehrt diese Tendenz um, indem er das Innere seiner Bauten offenlegt. Das konstruktive Skelett, unverputzte Rigipsplatten, Industriebauwellblech und sichtbar gelassener Maschendraht bilden die Materialienpalette, mit der Gehry seine individuelle Ausprägung minimalistischer Ornamentik entwickelt hat.

Als Gehry sich Mitte der 70er Jahre mit seiner »cheapscate architecture' von der Spätmoderne distanzierte, konzentrierte er sich zunächst auf sein eigenes Haus in Santa Monica. Dort ist Gehrys Denk- und Vorgehensweise am deutlichsten herausgearbeitet. In der Tat ist der Anblick von ungestrichenem Sperrholz, Stahlmaschendrahtzaun, Wellblech und keß aufgerissener Holzkonstruktion schwer wieder zu vergessen. Hier herrscht vor allem das Komponiert-Improvisierte in der Form- und Materialgebung. Es scheint so, als wolle Gehry, indem er seine scheinbar zufälligen Architekturkompositionen doch vorher genauestens formuliert, seine Architektur geradezu dekomponieren. Besonders hervorgehoben wird das Unansehnliche. Ungeschickte Gelenke, schroffe Materialübergänge, der Küchenboden aus Asphalt und sogar die formale Rebellion des städtebaulich aus der Reihe tanzenden Hauses, dies alles sind bewußt eingesetzte Mittel, mit denen er konsequent seine persönliche Antwort auf seine Kultur in Form von gebauten Metaphern zum Ausdruck bringt.

Obwohl das sofort berühmt-verrufene Haus mit einem ehrenvollen Preis des Archi-tektenverbandes ausgezeichnet wurde, hat es immer noch eine Weile gedauert, bis Gehry Mitte der 80er Jahre seine komplexe und zunächst wohl schwer verkäufliche Architek-turtheorie in die Wirklichkeit einer Reihe immer größer werdender Projekte umsetzen konnte. Während Gehrys eigenes Haus gezielt als Experiment übertrieben wurde, konnte er in den darauffolgenden Privathaus-Projekten Norton, Wosk und Winton seine schräge Architekturauffassung perfektionieren und verfeinern. Bei diesen Projekten dekomponiert oder zerlegt Gehry die Bauten zunehmend in Einzelteile. Diese werden so zueinander in Beziehung gestellt, daß ein Stilleben der individuellen Komponenten entsteht. Dieses Stilleben bildet dann auch die eigentliche Bühne, auf der das Leben des jeweiligen Baus stattfindet.

Den experimentellen Privathäusern folgten drei größere öffentliche Bauten, die Gehry zum ,rising star', um die Ortsterminologie zu verwenden, von Los Angeles' mittlerweile aktiv gewordener Architekturszene gemacht haben.

Sowohl bei dem California Aerospace Museum (1984) als auch bei der Loyola Law School (1985) und dem Institutsgebäude der UCLA Irvine (1987) behandelt Gehry die vom Programm geforderte Baumasse zunehmend als eine Collage von autonomen Einzelbauteilen, die, wie in der Bildhauerei, in poetische Beziehung zueinander gestellt werden, damit ein dorfähnliches, räumliches Gebilde entsteht. Gleichzeitig verfeinert Gehry sein minimalistisches Ornament wie ein improvisierender Jazzmusiker, der sich durch feine chromatische Nuancen um einen unerforschten Ton bemüht. Die Details werden solider ausgebildet, doch bleibt der Eindruck immer improvisiert-komponiert zugleich.

Das gerade fertiggestellte Edgemar Project, das aus Räumen für das öffentliche Santa Monica Museum of Modern Art wie auch aus privaten Büros und Ladenflächen besteht, setzt die Reihe der zum Stilleben de-komponierten Dorfbauten fort. Das Projekt nimmt das Gelände einer ehemaligen Mol-kerei und Eisfabrik ein. Es besteht aus einer Collage der vorhandenen Industriebauten mit dazwischengestellten autonomen Bauteilen, jeder mit einem eigenen architektonischen Charakter. Während manche dieser Gebilde bzw. Bauteile zur Main Street hin orientiert sind, versammeln sich andere um den Innenhof. Die drei Turmelemente werden bewußt als Blickfang plaziert, um möglichst viele Kunden ins Blockinnere zu locken.

Zur Main Street hin bildet das Hauptelement ein Wandfragment der alten Molkerei, das vorher verputzt war, das jetzt aber, durch Verkleidung mit Kupfer und Fliesen, in einen lebendig-neuen Bau transformiert wurde. Darüber markiert ein in Blech verpacktes kühlturmähnliches Werbeträgerelement die Präsenz des Laden/Museumskomplexes an der Main Street. Ebenfalls in unbehandeltes Zinkblech eingepackt, bildet die gekrümmte Ladenzeile daneben eine geschwungene Gasse zum Innenhof hin. Darüber akzentuiert ein Turm als offenes Stahlgerüst den Übergang zum Hof und bildet einen Raum im Freien, der als Besprechungsraum und geschützte Sitzgelegenheit gleichermaßen genutzt wird. Im ersten Obergeschoß gibt es Büroflächen.

Die zwei anderen Türme, der eine als Gewächshaus ausgebildet und der andere als Aufzugsturm mit Umgangsbalkon, mit Stahldrahtmaschenzaun behängt, locken das Auge in den Innenhof. Dieser, auch als Theater im Freien zu nutzen, bildet das Herz der Komposition. Eine bühnenartige Rampe führt hinauf zum Restaurant- und Museumseingang. Die erhöhte Eingangsebene wird zur Bühne des Innenhofs. Rampe und breite Treppe verstärken den Bühneneindruck. Die Fassade des Restaurantbauteils, auf zwei in Edelstahl gekleideten Säulen schwebend und eigentlich der Brennpunkt des genialen Außenraums, ist, als dünne Scheibe vor einen instandgesetzten Altbau gehängt, gleichsam eine Kulisse, die nach den Dreharbeiten wieder verändert werden kann. Das künstlich-vorgetäuschte Ambiente Los Angeles' wird hier auf poetische Weise überzeugend in einem Bau-Kunstwerk dokumentiert und erzählend sichtbar gemacht.

Eine zentrale Entwurfsidee war der Erhalt des intimen Maßstabs der Umgebung, einer Geschäftszone, die primär aus Kleinläden und Restaurants besteht. Die Straße und die angrenzenden Bürgersteige sind Tag und Nacht belebt. Deshalb wurde das Parken nach hinten verlegt und die etwa 100 Meter lange Straßenfront in fünf deutlich getrennte Bauelemente geteilt, die den Charakter der benachbarten Läden aufnehmen, damit der vorgegebene Maßstab der Umgebung nicht grundsätzlich verändert wird. Die historische Kontinuität bleibt erhalten: die alten Industriebauten werden zwar neu verkleidet, bleiben m Wesen aber unverändert formaler Mittelpunkt des Projekts...

Die eigentlichen Museumsräume liegen in zwei der Altbauten; sie sind vom Innenhof aus zugänglich. Sie werden ähnlich stark betont wie die benachbarten Läden, Büros, und das Restaurant. Die Behandlung der öffentlichen Museumsräume als Nebensache, relativ versteckt in den hinteren Ecken untergebracht, ist ein bezeichnender Ausdruck der Verhältnisse Los Angeles'. Während anderenorts der Institution Museum ein staatlich-erhabener Stellenwert beigemessen wird, lebt das Edgemar Project gerade von der Mischung Kommerz und Kultur. Den Besuchern wird nicht nur die modisch käufliche Ware der Designer-Boutiquen angeboten, sondern auch gewissermaßen die Kulturware, die in dem stadteigenen Kunstmuseum ausgestellt wird. Während sich diese, von manchem als Abwertung empfundene Behandlung der Museumsräume - lediglich als Teil eines dem shopping-center-ähnlichen Komplexes - vom traditionellen Vorbild des Museums entfernt, ist die gewagte Mischung von Funktionen möglicherweise die beste Antwort auf die gravierenden Probleme einer Innenstadt, die sich im Verfall befindet.

Durch feinfühliges Eingehen auf den spezifischen Ort schafft Gehry hier ein Gebäude, das sich dem Kontext anpaßt, ohne sich anzubiedern. Die Ergänzung des herun-tergekommenen Industriegeländes durch  Gehrys eigenwillige Formencollage komple-mentiert den vorgegebenen Leerraum und transformiert ihn zum lebendigen Ort, der durch den sichtbar betonten Kontrast von Alt und Neu zu neuem Leben erweckt wird...

 ...Gehrys Raum- und Materialkompositionen zeigen sein ausgesprochenes Talent, das Absurd-Lächerliche in etwas Erhabenes zu transformieren. Deswegen zeichnet sich seine Arbeit als eine der wenigen substantiellen und zunehmend einflußreichen des Pazifik-Raumes aus. Die Bedeutung von Gehrys Bestreben, seine Architektur als Metapher von Ort und Kultur zu gestalten, wird mittlerweile nicht nur am Pazifik anerkannt. In der Tat war er es, der bei der ,Deconstructivist Architecture' Ausstellung 1988 im  New Yorker Museum of Modern Art die Show eröffnet hat.

Die scheinbar unfertige, improvisatorische Qualität von Gehrys Projekten drückt also nicht nur das Künstlich-Immaterielle von Los Angeles aus, sondern ist gleichzeitig persönliche Aussage eines ,ewig-wandernden' Intellektuellen, der versucht, aus der bedrückenden Realität seiner Umgebung heraus eine bedeutungsvolle und wertvolle Architektur zu schaffen. Gehry als Alternative zu den seichten Stereotypen der Postmoderne also? Ein aus den Paradoxen der modernen Kultur resultierender Manierismus der Moderne.

Aus: 

Lobgesang auf die Künstlichkeit
Frank Gehry’s Edgemar Museum in Santa Monica, Kalifornien

Veröffentlicht in: Bauwelt, Heft 10/1989, s. 352-357



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